Zur Vorbereitung einer Veranstaltung in Neustadt anlässlich des 7. Festivals 2021
haben wir uns mit dem Thema „Weisheit“ auseinandergesetzt. Erste Annäherungen
erfolgten im „Sokratischen Gespräch“, wo wir der Frage nach Weisheit im Alltag
nachgingen. Wir legten dann den Schwerpunkt auf die Frage nach dem rechten
Umgang mit der Natur. Wir konstatierten ein Naturverständnis, das von einem
wirtschaftlichen Zweckrationalismus dominiert ist und die Natur nur noch als
Ressource zur Erfüllung seiner Interessen wahrnimmt. Die Natur wird zum
Gebrauchsgut und zur Quelle gesellschaftlichen Nutzens degradiert. Mit Hilfe
technischer Mittel wird sie beherrschbar und ihre Zerstörung möglich. Mit diesem
Naturverständnis einher geht eine rationale Sprache, die mit eindeutig geklärten
Begriffen und ihrer abstrakten Sichtweise den Rahmen für eine gemeinsam geteilte,
objektivierte Wirklichkeit schafft.
„Nature Writing“ entstand in den USA zu Beginn des letzten Jahrhunderts im Zuge der
Industrialisierung, deren Auswirkungen damals verheerende Folgen für das Land
angenommen hatten. Im Spannungsfeld von Moderne und Natur stellte das „Nature
Writing“ den Versuch dar, eine neue Sichtweise von Natur zu erschaffen und damit
die katastrophalen Fehlentwicklungen der Industrialisierung aufzuzeigen.
Man versuchte, einen sensibleren und differenzierteren Zugang zur entschwindenden
Natur zu gewinnen. Die Natur wurde als ein Ort der Schönheit angesehen, der seinen
eigenen Wert hat, und mit dem man einen intensiven und offenen Kontakt pflegen
konnte. Als Ausdrucksmedium von Erlebnissen und als Einweisung in die
Naturerfahrung erlangt die Sprache des „Nature Writing“ ihren humanen
Bedeutungshorizont zurück. Die humane Sprache stellt verfestigte
Wirklichkeitsauffassungen in Frage zugunsten der vielfältigen Möglichkeiten des
Wirklichen, entdeckt Alternativen und öffnet sich dem Unbekannten. Die Sprache
bekommt eine wahrnehmende Funktion und erlangt in der Differenziertheit ihres
hervorbringenden Blicks Erkenntnischarakter.
Die im „Nature Writing“ gepflegte Wahrnehmungskunst wird in eine Lebensform
übersetzt, die sich durch Authentizität, ein naturverbundenes Leben, differenzierte
Wahrnehmung und eine humane Sprache auszeichnet. Sie ist durch einen offenen
Wahrnehmungshorizont konturiert und zielt auf Erweiterung der
Wahrnehmungsfähigkeit durch z.B.
- das achtsame „In-den-Blick-Nehmen“ des Vertrauten und Naheliegenden.
- durch eine befreiende und differenzierte Wahrnehmung.
- den Abbau von Selbstverständlichkeiten.
- Begeisterung, Verblüffung, Schrecken über das Unverhoffte und Unerwartete.
- Offenheit für Fremdes.
- die Bereitschaft, auch Schattenseiten zuzulassen.